1992

Wettbewerbsrechtliche Schranken für staatliche Maßnahmen nach europäischem Gemeinschaftsrecht

Tübingen, Mohr, 1992 (Tübinger Rechtswissenschaftliche Abhandlungen; Bd. 72); Dissertation

Wettbewerbsrechtliche Schranken für staatliche Maßnahmen nach europäischem Gemeinschaftsrecht,
Tübingen, Mohr, 1992 (Tübinger Rechtswissenschaftliche Abhandlungen; Bd. 72); Dissertation

Zusammenfassung:

Wettbewerb gehört zu den grundlegenden Strukturprinzipien des Gemeinsamen Marktes. Nach der Konzeption des Vertrages bedarf Wettbewerb der Sicherung durch Maßnahmen der Gemeinschaft. Der EWG-Vertrag fordert mit der Errichtung eines Systems unverfälschten Wettbewerbs ein kohärentes Ensemble von Rechtssätzen und Verfahren, das einen Schutz vor privaten und staatlichen Wettbewerbsbeschränkungen bewirkt. Dieser Systemanspruch ist gegenüber staatlichen Wettbewerbsbeschränkungen bisher nur teilweise realisiert. Die Arbeit untersucht die spezifisch wettbewerbsrechtlichen Verpflichtungen, die sich für die Mitgliedstaaten aus dem EWG-Vertrag ergeben. Diese Verpflichtungen wirken zugleich als Schranken für die Ausübung nationaler Kompetenzen. Unterschieden wird zwischen wettbewerbsrechtlichen Verpflichtungen, die sich aus den Sachnormen des EWG-Vertrages, insbesondere aus den Wettbewerbsregeln, ergeben und solchen Verpflichtungen, die sich aus den allgemeinen Grundsätzen des Vertrages ableiten lassen.
Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf den wettbewerbsrechtlichen Pflichten, die sich aus den allgemeinen Grundsätzen des Vertrages ableiten lassen. Gezeigt wird, daß der in Art. 5 EWGV teilweise verankerte Grundsatz der Gemeinschaftstreue zur Sicherung der Integration der Ausübung nationaler Kompetenzen Grenzen zieht. Danach dürfen nationale Maßnahmen weder die Funktionsfähigkeit des vertraglichen Instrumentariums noch die Strukturprinzipien des Gemeinsamen Marktes beeinträchtigen. Schutz der Funktionsfähigkeit des vertraglichen Instrumentariums bedeutet den Schutz des vertraglichen Geltungsanspruchs, der praktischen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts, der materiellen Ordnungen des Vertrages und der Tätigkeit der Gemeinschaftsorgane. Auf der Grundlage dieser allgemeinen Pflichten lassen sich spezifisch wettbewerbsrechtliche Verpflichtungen der Mitgliedstaten ableiten.

Der Schutz der Funktionsfähigkeit des wettbewerbsrechtlichen Instrumentariums erfaßt im Kern diejenigen Pflichten, die der EuGH aus Art. 5 Abs. 2, 3 lit. f., 85 und 86 EWGV ableitet. Die Pflicht zur Beachtung des Geltungsanspruchs der Wettbewerbsregeln zieht nationalen kartellrechtlichen Maßnahmen Schranken. Unzulässig ist insbesondere die Anwendung nationaler Verbote auf Verhaltensweisen, die nach Art. 85 Abs. 3 EWGV freigestellt wurden, sofern dabei die Wirksamkeit der Freistellung beeinträchtigt wird. Aus der Pflicht zur Beachtung des gemeinschaftsrechtlichen Geltungsanspruchs folgt auch das Verbot staatlicher Maßnahmen, die Unternehmen rechtlich oder faktisch zu wettbewerbsbeschränkendem Verhalten zwingen.

Die praktische Wirksamkeit der Wettbewerbsregeln wird durch Maßnahmen beeinträchtigt, die wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen fördern oder deren Wirkungen verstärken. Inwieweit eine derartige Förderung vorliegt, ist vom Horizont der betroffenen Unternehmen aus zu beurteilen. Dabei ist unmaßgeblich, ob sich aus der Förderung tatsächlich ein Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln ergibt. Eine gemeinschaftsrechtswidrige Kartellförderung kann auch in Ausnahmen von nationalen Kartellverboten liegen. Unter dem Gesichtspunkt der Wirkungsverstärkung untersagt sind die Erteilung staatlicher Genehmigungen für erkennbar wettbewerbsbeschränkendes Verhalten sowie Maßnahmen zur Durchsetzung von Kartellabreden, auch in Gestalt der Allgemeinverbindlichkeitserklärung solcher Vereinbarungen. Verboten ist ferner die im wesentlichen unveränderte Übernahme wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen in staatlichen Normen.

Die mit den Art. 85, 86 EWGV geschaffene Ordnung für das Verhalten der Unternehmen auf dem Gemeinsamen Markt wird durch staatliche Maßnahmen beeinträchtigt, die einzelne Unternehmen oder Unternehmensverbände mit Befugnissen für eine private Ordnung des Wettbewerbs ausstatten. Dem entspricht das in der Rechtsprechung des EuGH entwickelte Verbot der Delegation von Interventionsentscheidungen auf Marktteilnehmer. Der Schutz der Funktionsfähigkeit des wettbewerbsrechtlichen Instrumentariums bedeutet im wesentlichen die Absage an korporatistische Regelungsmodelle sowie ein ? wettbewerbspolitisch zweifelhaftes ? Gebot der Typenklarheit staatlicher Regulierung. Vor staatlichen Wettbewerbsbeschränkungen wird auf diese Weise letztlich nur mittelbar geschützt.

Mit dem Schutz des Strukturprinzips Wettbewerb wird dagegen ein Ansatz entwickelt, der staatliche Maßnahmen gerade aufgrund ihrer wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen einer Verhältnismäßigkeitskontrolle unterwirft. Der Grundsatz der Gemeinschaftstreue verpflichtet sowohl die Gemeinschaftsorgane als auch die Mitgliedstaaten, Wettbewerb als Strukturprinzip des Gemeinsamen Marktes zu beachten. Der Schutz dieses Strukturprinzips hat sowohl der fundamentalen Bedeutung des Wettbewerbs für die Integration, als auch der Bedeutung anderer Gemeinschaftsziele und der grundsätzlichen Zulässigkeit nationaler Interventionsentscheidungen Rechnung zu tragen. Danach sind staatliche Maßnahmen, die das Strukturprinzip Wettbewerb beeinträchtigen, mit dem Gemeinschaftsrecht nur vereinbar, sofern sie gemeinschaftskompatible Ziele verfolgen und dem gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Eine Beeinträchtigung des Strukturprinzips liegt zumindest bei vier Typen staatlicher Wettbewerbsbeschränkungen vor, sofern diese sich auf dem Gemeinsamen Markt auswirken: bei quantitativer Beschränkung der Zahl der Marktteilnehmer, Beseitigung des Preiswettbewerbs, quantitativer Beschränkung von Produktion und Absatz sowie der Zuteilung von Märkten und Versorgungsquellen. Beim jetzigen Stand des Gemeinschaftsrechts vermag eine Verhältnismäßigkeitskontrolle anhand des Grundsatzes unverfälschten Wettbewerbs nur zu einem relativ schmalen Bereich rechtlichen Schutzes zu führen. Daneben muß zum Schutz des Strukturprinzips Wettbewerb auf eher politisch geprägte Kooperationsverfahren zurückgegriffen werden.

Institut Français de Stuttgart, Albrecht Bach (Hrsg.): Die französische Deutschlandpolitik zwischen 1945 und 1949. Ergebnisse eines Kolloquiums des Inst. Français de Stuttgart und des Deutsch-Französischen Instituts in Ludwigsburg am 16. und 17. Januar 1986 in Stuttgart. Tübingen, Attempto-Verlag, 1987.

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